Dienstag, 28. Juli 2015

Zeitlöcher

Wenn du dich in der Metro in einen Eingang gedrängt hast, nachdem dort etwa 50 Personen herausgequollen sind bei der Station, und noch mehr hinein, und einen winzigen Stehplatz erkämpft hast, wo du dich anhalten kannst, die Tür im Blick hast und somit abschätzen kannst, in welcher Station gerade gehalten wird, deine Tasche geschultert, die Wanderschuhe in der Hand, den Schlafsack zwischen die Beine gezwängt, und dich an die plötzliche Kälte der Klimaanlage gewöhnt hast, dann gehen mit einem lauten Pfeifen die Türen zu, du hältst dich gut fest, und es könnte losgehen.

Aber es geht nicht los.

Alles wartet.

Die Blicke zu Boden.

Zur Seite.

Aus dem Fenster.

Manche Blicke kreuzen sich.

Es ist kein Grund einer Verzögerung erkennbar.

Alle Reisenden längst verstaut.

Und als man dann rumpelnd durch die Tunnel dröhnt, da weiß niemand mehr, wie lange dieses Zeitloch gedauert hat und ob es überhaupt existiert, da denkt man schon wieder an den Ausstieg, registriert im Vorbeigehen die Waggons und Wartezonen für Frauen, sowie jene Frauen, die mit ihren Männern in den normalen Waggons fuhren, spürt die Eile und Geschäftigkeit, mit der alles wieder einem Ausgang oder Eingang zustrebt, und findet also den Zeitfluss völlig unversehrt.

Der Flughafenbus steht mit knatterndem Motor an der Abfahrtsstelle, es dauert, bis er sich füllt. Man sucht Plätze zum Sitzen oder Stehen, registriert einander, ohne Kontakt aufzunehmen, und wartet, ungekühlt, in der Nachmittagshitze Teherans. Irgendwann geht es los, langsam ruckelnd am Flughafengebäude entlang, durch Kurven, über Abzweigungen, an wartenden, dann an ausgemusterten Maschinen entlang, wie mit der Grottenbahn durchs Zwergerl- und Riesentheater, diese Propellerflieger und Jumbos mit aufgesetzter Steuerkabine, und schließlich steuert man auf ein bestimmtes Flugzeug zu, eine Fokker, deren Dröhnen das des Busses übersteigt beim Näherkommen. Der Bus hält vor der Tragfläche. Der Blick der Reisenden geht auf die Turbine, die Treppe, die offenen Klappen, den Tankschlauch.

Aber nichts passiert.

Draußen nicht und drinnen nicht.

Da beginnt dein T-Shirt zu riechen.

Du spürst die Jeans, die du seit Tagen trägst, an den Beinen kleben.

Schweiß tropft aus der Achselhöhle.

Du spürst den Atem des Nachbarn.

Einige wedeln sich mit dem Boarding-Pass Luft zu.

Andere zücken das Smartphone.

So stehen wir und sehen dem Zeitfluss zu, der uns überholt.

Später, mit dem Flugzeug, werden wir ihn wieder einholen

In größeren Höhen

Ich erreiche das obere Camp am Damavand, mit gefühlt einem Liter Körperflüssigkeit in Form von Paradeissoße, mit groben Stößen durch den Körper gepumpt, und der Wahrnehmungskraft einer Blindschleiche, die noch das Gelände registriert, steiler Hang, helles Licht, bunte Zelte, gemauertes Haus, und dann, durch die Öffnung, plötzlich finster. Ich tappe in den dunklen Raum, stolpere über die hohe Schwelle, sacke auf einen schnell hingestellten Plastikstuhl und ahne für die nächsten Stunden mehr, als dass ich verstände, was um mich geschieht. Da steht ein Becher Tee. Ein Koffer mit verpackten Schächtelchen. Nach und nach Menschen, die sich zu kennen scheinen. Tische werden aufgestellt, weitere Stühle, Plastiktischtücher aufgespannt, gedeckt, in Gruppen zusammengestanden. Irgendwann rät mir jemand, mich hinzulegen, und ich schleppe mich ins Lager hinauf und werfe mich auf eine Pritsche.
---
Als ich wieder hinunterkam, war ich wieder ich selbst.
Ich aß etwas und unterhielt mich, erzählte von meinem Aufstieg in dreieinhalb Stunden, nach vier bis fünf Stunden Schlaf in der Moschee im Basislager, und zwei, drei Keks zum Frühstück, nach der Anreise um Mitternacht, nun in eine Höhe, die noch einiges über dem höchsten Berg meiner Heimat liegt. Aber so, wie man zu Hause eine Waldwanderung macht, nur dass hier schon längst keine Bäume mehr sind, nur bunter Lavastein, Moos, borstige Polster und rote Flechten. Mir fliegen die Gesprächspartner zu. Schon beim Anstieg: knapp vor dem Camp waren mir Iraner entgegen gekommen, alpin gerüstet, und hatten mir Nüsse und ein Getränkepäckchen und ein bisschen Sonnencreme geschenkt. In der düsteren Gaststube die zwei jungen Brüder aus Wien, Schottengymnasium. Sportliche Iraner, die mich über die verschiedenen Wandergruppen aufklären, die hier für den Himmalaya trainieren. Die beiden polnischen Studenten mit ihrem iranischen Freund, der sie auf den Gipfel geführt hat. Ich treffe sie beim Abstieg am späten Nachmittag, als ich noch bis zur Nebelwand hinaufsteige, gezeichnet von der Anstrengung, mit aufgeregten Worten vom Gewitter, als ihnen die Haare zu Berge gestanden waren. Später, erholt in der Gaststube, gab es Gespräche über die Zarathustra-Anhänger im Iran und ihre indischen Glaubensbrüder, sowie die Yesiden, die ganz ähnlich glaubten, ohne aber von dieser Verbindung zu wissen, und sozusagen gar keine Theologie besaßen außer dem mündlich weitergegebenen Wissen, das aber von Stamm zu Stamm variierte. Jeder schien jeden zu kennen in dieser Stube, man half beim Putzen, richtete hintereinander Essen für die verschiedenen Gruppen, lief hin und her, organisierte, half. Ich wusste den ganzen Tag nicht, wer der Hüttenwirt war oder zu seiner Mannschaft gehörte.
Von Akbar hatte ich im Basiscamp um 6 Uhr früh Tee und Keks bekommen, die Permission für den Berg aber schuldig bleiben müssen gegen das Versprechen, sie nach dem Abstieg in der Bank einzuzahlen. Stattdessen hatte er mir einen größeren Rucksack gesucht, in den ich alles packen konnte, und angesichts der Morgenkälte seinen eigenen gefütterten Anorak gegeben und stattdessen selbst etwas Dünnes angezogen. Am nächsten Tag, als ich alles seiner schlanken Frau zurückgab, die nickte und sich bedankte, während er noch mit den Maultieren unterwegs war, bekam ich noch einen Kräutertee und sah diesmal, wie er selbst ein paar Schritte weglief, etwas von der Wiese pflückte und in den Topf warf, was dann herrlich würzig schmeckte und alles Schwere aus dem Blut trieb. Ich war hier in eine Gemeinschaft geraten, die etwas Studentisches hatte, eine spontane Offenheit, die auch einen Fremden teilhaben ließ, fröhlich und naturverbunden, und wie zur Bestätigung erhielt ich noch einen peinlich entschuldigenden Blick, als Akbar wohl von seiner jungen Frau, die ein Kind stillte, sehr energisch war und mit ihrer schrillen Stimme sich Gehör zu verschaffen wusste, dort drinnen in ihrem Wohncontainer gekniffen worden war und sich strampelnd freimachte, bevor es wieder hinunterging mit dem Geländewagen über die Rumpelpiste bis zur Straße und dem nächsten Ort – wo wieder eine andere Geschichte begann

iran-015

iran-020

iran-026

iran-033

iran-048

iran-059

iran-063

iran-068

Die ersten Fragen des Persers

an den Iranreisenden, ob im Gedränge der Metro in Teheran oder bei der Begegnung am Gehsteig der Amir Kabir-Strasse oder in der Waldgasse in Favoriten, ist immer: Wie gefällt dir der Iran? Und die Menschen? Dann wartet man befriedigt das Schwärmen des Reisenden ab, erkundigt sich erstaunt über einzelne Erfahrungen, und entgegnet schließlich: Aber das Leben im Iran ist schlecht. Die Regierung ist schuld. Streift das Geld ein, die Wirtschaft ist am Boden, selbst mit einer guten Anstellung kann man kaum leben.
Die Umweltverschmutzung?
Das Verkehrschaos in Teheran?
Die Menschen müssen kämpfen ums Überleben, sie haben keinen Blick auf größere Zusammenhänge.
Aber sie sind gastfreundlich, interessiert an Ausländern und Fremden. Ich werde jeden Tag angesprochen, schon wenn ich in der Metrostation ratlos stehe zwischen verschiedenen Fahrtrichtungen, wird mir spontan Hilfe angeboten – das geht sogar so weit, dass ein Student mit mir einige Bankomat-Geräte ausprobiert und schließlich, oben auf der Straße, einige Geschäfte abklappert, um mit meiner Karte ein bisschen Bargeld abzuheben für ein Ticket, und mir schließlich selbst eines kauft. In der Ankunftshalle von Ardabil spricht mich im Vorbeigehen ein Student an, stellt sich als Adel vor und gibt mir seine Telefonnummer. Am selben Abend schon sitzen wir zusammen am Diwan eines Traditionsrestaurants und essen und lachen bis Mitternacht, über die geplante Hochzeit seines Freundes und die Hochzeitsreise nach Wien, und ob er nicht vielleicht statt der Braut den Freund mitnehmen soll, als Dolmetscher

Millionär in Persien

Es ist eine vergleichsweise geringe Investition, ein Flugticket nach Teheran zu buchen, noch dazu nur in eine Richtung. Man sollte aber bedenken, dass die internationalen Bankkarten in Persien nicht funktionieren, möge also lieber Bargeld mitnehmen oder eine andere Vorkehrung treffen.
Für 30 Euro bekommt man dann aber gleich 1 Million Rials, sogar etwas mehr, je nach Tageskurs. Wenn man das Zehnfache investiert, kann man bereits 1 Million Tuma sein eigen nennen. Man soll sich nicht davon abschrecken lassen, dass hinten, auf der iranischen Seite des Geldscheines, bloß 100 draufsteht. Dafür ist dann jener Schein, den man für fünf solche 100.000er bekommt, bloß bescheiden mit 50 beschriftet. Wer sich die ersten Wochen noch ein wenig schwer tut mit diesen Summen, wird jederzeit bereitwillig und ehrlich beraten, und niemals hat sich jemand mehr aus dem Geldbündel herausgezogen, als ihm wirklich zusteht - nicht einmal ein Taxifahrer. Das gibt es wirklich nur hier. ---
Wer ein Millionär ist, gibt auch gerne Geld aus.
So kann man gleich bei der ersten Gelegenheit dazu in der Ferdosistrasse ein paar Tausender loswerden für zwei kleine Batterien, oder im Schreibwarengeschäft 7.000 für einen Kugelschreiber, oder schließlich 10.000 für zwei. Das Hotelzimmer kostet mit Frühstück und nächtlicher Klimaanlage eine halbe Million am Tag, der Inlandsflug nach Ardabil 1,3 Millionen. Man lebt wie der Schah von Persien!
logo

ferner

Aktuelle Beiträge

RANA aus TABRIS, IRAN
The book “my bird” is about a woman who talks about...
weichensteller - 4. Sep, 23:43
Fariba Vafi: Kellervogel
Vielleicht der lang ersehnte Liebesroman, der nicht...
weichensteller - 2. Sep, 22:41
ساعتی با فرهنگ
Kulturstunde سارا سریع به سمت من اومد و گفت : راهنما...
Aminniak - 30. Aug, 01:26
Hallo Schlagloch!
Schön, dass du dich noch eingeklinkt hast! Dein Namenspatron...
weichensteller - 16. Aug, 08:32
Hallo Weichensteller!...
aber in der Pension verliert man teilweise das Zeitgefühl,...
SCHLAGLOCH - 14. Aug, 15:13

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Links

Suche

 

Status

Online seit 5362 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 4. Sep, 23:43

Credits

Knallgrau New Media Solutions - Web Agentur f�r neue Medien

powered by Antville powered by Helma


xml version of this page
xml version of this page (with comments)

twoday.net AGB

Free counter and web stats Free counter and web stats

neuer anfang
von anfang an
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren