In größeren Höhen

Ich erreiche das obere Camp am Damavand, mit gefühlt einem Liter Körperflüssigkeit in Form von Paradeissoße, mit groben Stößen durch den Körper gepumpt, und der Wahrnehmungskraft einer Blindschleiche, die noch das Gelände registriert, steiler Hang, helles Licht, bunte Zelte, gemauertes Haus, und dann, durch die Öffnung, plötzlich finster. Ich tappe in den dunklen Raum, stolpere über die hohe Schwelle, sacke auf einen schnell hingestellten Plastikstuhl und ahne für die nächsten Stunden mehr, als dass ich verstände, was um mich geschieht. Da steht ein Becher Tee. Ein Koffer mit verpackten Schächtelchen. Nach und nach Menschen, die sich zu kennen scheinen. Tische werden aufgestellt, weitere Stühle, Plastiktischtücher aufgespannt, gedeckt, in Gruppen zusammengestanden. Irgendwann rät mir jemand, mich hinzulegen, und ich schleppe mich ins Lager hinauf und werfe mich auf eine Pritsche.
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Als ich wieder hinunterkam, war ich wieder ich selbst.
Ich aß etwas und unterhielt mich, erzählte von meinem Aufstieg in dreieinhalb Stunden, nach vier bis fünf Stunden Schlaf in der Moschee im Basislager, und zwei, drei Keks zum Frühstück, nach der Anreise um Mitternacht, nun in eine Höhe, die noch einiges über dem höchsten Berg meiner Heimat liegt. Aber so, wie man zu Hause eine Waldwanderung macht, nur dass hier schon längst keine Bäume mehr sind, nur bunter Lavastein, Moos, borstige Polster und rote Flechten. Mir fliegen die Gesprächspartner zu. Schon beim Anstieg: knapp vor dem Camp waren mir Iraner entgegen gekommen, alpin gerüstet, und hatten mir Nüsse und ein Getränkepäckchen und ein bisschen Sonnencreme geschenkt. In der düsteren Gaststube die zwei jungen Brüder aus Wien, Schottengymnasium. Sportliche Iraner, die mich über die verschiedenen Wandergruppen aufklären, die hier für den Himmalaya trainieren. Die beiden polnischen Studenten mit ihrem iranischen Freund, der sie auf den Gipfel geführt hat. Ich treffe sie beim Abstieg am späten Nachmittag, als ich noch bis zur Nebelwand hinaufsteige, gezeichnet von der Anstrengung, mit aufgeregten Worten vom Gewitter, als ihnen die Haare zu Berge gestanden waren. Später, erholt in der Gaststube, gab es Gespräche über die Zarathustra-Anhänger im Iran und ihre indischen Glaubensbrüder, sowie die Yesiden, die ganz ähnlich glaubten, ohne aber von dieser Verbindung zu wissen, und sozusagen gar keine Theologie besaßen außer dem mündlich weitergegebenen Wissen, das aber von Stamm zu Stamm variierte. Jeder schien jeden zu kennen in dieser Stube, man half beim Putzen, richtete hintereinander Essen für die verschiedenen Gruppen, lief hin und her, organisierte, half. Ich wusste den ganzen Tag nicht, wer der Hüttenwirt war oder zu seiner Mannschaft gehörte.
Von Akbar hatte ich im Basiscamp um 6 Uhr früh Tee und Keks bekommen, die Permission für den Berg aber schuldig bleiben müssen gegen das Versprechen, sie nach dem Abstieg in der Bank einzuzahlen. Stattdessen hatte er mir einen größeren Rucksack gesucht, in den ich alles packen konnte, und angesichts der Morgenkälte seinen eigenen gefütterten Anorak gegeben und stattdessen selbst etwas Dünnes angezogen. Am nächsten Tag, als ich alles seiner schlanken Frau zurückgab, die nickte und sich bedankte, während er noch mit den Maultieren unterwegs war, bekam ich noch einen Kräutertee und sah diesmal, wie er selbst ein paar Schritte weglief, etwas von der Wiese pflückte und in den Topf warf, was dann herrlich würzig schmeckte und alles Schwere aus dem Blut trieb. Ich war hier in eine Gemeinschaft geraten, die etwas Studentisches hatte, eine spontane Offenheit, die auch einen Fremden teilhaben ließ, fröhlich und naturverbunden, und wie zur Bestätigung erhielt ich noch einen peinlich entschuldigenden Blick, als Akbar wohl von seiner jungen Frau, die ein Kind stillte, sehr energisch war und mit ihrer schrillen Stimme sich Gehör zu verschaffen wusste, dort drinnen in ihrem Wohncontainer gekniffen worden war und sich strampelnd freimachte, bevor es wieder hinunterging mit dem Geländewagen über die Rumpelpiste bis zur Straße und dem nächsten Ort – wo wieder eine andere Geschichte begann

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