Donnerstag, 20. August 2009

Naechtlicher Heimweg

Vielleicht war es etwas kuehler - aber bestimmt nicht weniger staubig, als ich gegen Mitternacht nachdenklich heimschlenderte, lange nicht so muede wie am ersten Tag nach der kurzen Reisenacht.
Die Strassenquerungen waren beinahe so harmlos wie beim naechtlichen Wiener Guertel ohne Ampel, der Ashalt dampfte. Bedaechtig wurden Container in den Muellwagen gekippt; wie die vielen Muellgruben am Gehsteigrand geleert wurden, hab ich nicht gesehen. Stattdessen fielen mir viele schwimmende Plastikflaschen in der Abflussrinne am Strassenrand auf, und einen Kanalraeumer in Gummistiefeln sah ich, der mit der Schaufel schwarzes Werg aus dem geoeffneten Kanaldeckel holte und an einer Stelle aufhaeufte.
Einen einzigen Rattenschwanz sah ich im fahlen gelblichen Licht unter eine Muelltonne huschen, bevor es fuer hundert Meter ganz finster wurde und Entgegenkommende nur mehr dunkle Schatten waren. Ein offensichtlich Betrunkener sass liegend auf einem Denkmalsockel, und manchmal streiften mich tiefhaengende Zweige der Ahornalleebaeume im Gesicht.
Auf der rechten Spur des riesigen Iman Khomeinisquare ist ein Auto mit blinkenden Lichtern abgestellt, und daneben, am halbmeterhohen Gehsteig, der quer ueber den Platz verlaeuft, macht sich eine fuenfkoepfige Familie mit halbwuechsigen Maedchen und Buben zu schaffen, und der Vater hat einen Gebetsteppich ausgerollt und beginnt mit den Verbaeugungen zur Strassenmitte hin.
Tobias, der am Abend mit der U-Bahn im vornehmen Norden der Stadt war, der von vielen Uniformierten belauert war, nannte, zurueckgekommen, unseren Stadtteil das Gangsterviertel. Aber ich ging an der britischen, tuerkischen und deutschen Botschaft vorbei und sah gaehnende Soldaten in finsteren Beobachtungshuetten.
Jetzt fielen mir die Wasserhaehne auf, die zwischen den Alleebaeumen angebracht waren, denn ein Wagen hielt in der ersten Spur, und der Fahrer wrang einen Fetzen unterm Wasserstrahl aus, um im gelblich fahlen Licht die Scheiben zu waschen.
Spaeter, als ich im Speiseraum unseres Hotels ueber meinen Buechern sasss, arbeitete sich ein Strassenreiniger durch die Strasse vor dem Fenster, und dem Geraeusch nach muss er badewannenweise Wasser ausgeschuettet haben ueber die schmale Gasse, auf der tagsueber duftende Gummireifen aufgestapelt sind.
Im Ganzen scheint die Stadt in einen benommenen Frieden zu versinken, der mit jenem meiner Wienerstadt irgendwie verwandt sein muss.

Eines

muss schon gesagt werden: Die Pachlevi-Dynastiewar ja nicht allzu volksnah, Prunk und Reichtum, mit denen sich der Schah von Persien im 20. Jahrhundert umgab, mochten dem Ansehen des Staates gedient und anderen Staatsoberhaeuptern imponiert haben, als z.B. Schah Reza ein einwoechiges Bankett gab fuer tausend auslaendische Politiker anlaesslich der Milleniumfeiern des Persischen Reiches, waehrend in unmittelbarer Nachbarschaft tausende Menschen verhungerten. Die Prunkraeume seines Palastes mit den Spiegelsaelen haben wir ja bereits besichtigt. Freilich scheint der rojalistische Repraesentationsbau bei den Mullahs nicht auf allzugrosse Liebe zu stossen, wie die Banken und Hochbauten rundum, und besonders die Fussballtore im kaiserlichen Garten zeigen.
Auch wenn viele Geschaeftsleute, und besonders die Gebildeten und Intellektuellen die Zeit des Schahs zurueckwuenschen, auch wenn Jacer und viele andere Aufgeklaerte oder fuer westliche Freiheit und technische Errungenschaften Schwaermende die Religion zu recht fuer politikunfaehig halten: Es ist doch ganz bestimmt dieser gegenwaertige Praesident den riesigen Scharen der einfachen Leute nahe, gerade in seinem Trotz gegen die Etablierten im eigenen Land und in der westlichen Welt. Nachdem in den Siebzigerjahren ein Auftrag an franzoesische Baufirmen zum U-Bahnbau jahrelang dahinduempelte, in den Neuzigerjahren gekuendigt und neu begonnen wurde, 2001 die ersten Stationen der ersten Linie eroeffnet wurden, wurden gerade unter seiner Regentschaft bereits fuenf Linien in Betrieb genommen, von denen nicht einmal unser allerneueste Reisefuehrer etwas weiss. Und ehrlicherweise ist doch nicht einzusehen, wieso selbst die Atomkraft, auch die militaerische, nur von bestimmten Grossmaechten genutzt werden darf, als besaessen diese moralische Vorteile.
Es hat in diesem Land die Bildung bestimmt einen viel groesseren Wert als zu Hause, und ich vermute eine hoehere Akademikerquote. In Restaurents und in der U-Bahn sind ausschliesslich alle Maenner so gepflegt, als waeren sie taeglich beim Friseur, mit ihren pechschwarzen oder graumelierten Frisuren, Krawatten und parfuemierten Anzuegen, und selbst Kistenstapler und Kiorkverkaeufer haben gepflegte Kleidung und ordentlichen Haarschnitt. Hier im Hotelrestaurant bin ich unter all den Vornehmen der einzig Verdaechtige mit meinem Leinenhemd und der Umhaengetasche, und ich wurde auch hinter eine Saeule gesetzt in Sichtweite des Kassiers.

Weniger die Religion erscheint mir zweifelhaft hier, als ein bestimmtenr Typ des Religioesen - wie jene misstrauischen Maenner im Internet-Cafe unter Koranspruechen an der Wand, die mir heute wortkarg einen Platz im Nebenraum zugewiesen haben und auf meinen freundlichen Abschiedsgruss saeuerlich laechelten. Am Restauranttisch gegenueber sass eine Runde ernster Maenner mit einem rundlichen Turbantraeger, die anstat zu lachen lieber still dem ueppigen Buffett zusprachen.

Und dies sage ich nun an meine Heimatadresse: Jenen aengstlich Religioesen, die kein deutliches scharfes Wort vertragen und stets auf der Seite des Altbewaehrten gehen wollen, die religioese Neuerungen misstrauisch und mit Zurueckhaltung betrachten und lieber die anderen ins Feuer der Innovation schicken, um ungeruehrt die Ergebnisse abzuwarten, ohne sich selbst auf irgendein Risiko einzulassen: euch versage ich den Alleinvertretungsanspruch. Ich will meine Religion nicht zu etwas Mittelmaessigem verkommen lassen, und Forschungsgeist und Willenskraft, Erneuerung und Themenfuehrerschaft nicht allein den Liberalen und Saekularen zugestehen. So will ich verstanden werden, und wenn dies zu sagen in diesem Lande besser gelingt und verstaendlicher wird: nun, dann sei es so.
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ferner

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