Montag, 10. August 2015

Ekbatana

Ekbatana heißt diese Stadt eigentlich, bereits im ersten vorchristlichen Jahrtausend Hauptstadt der Meder, für die persischen Großkönige dann Verwaltungshauptstadt, laut Herodot von sieben verschiedenfarbigen Wällen umgeben, von denen einer oder zwei in den letzten Jahren ausgegraben wurden. Ekbatana war, wie hier jeder weiß, die Stadt, in der die Jüdin Esther als Frau des Perserkönigs Xerxes Königin des Perserreiches wurde und ihr Volk vor der Verfolgung rettete. Tatsächlich gab es seit Kyros´ und Xerxes´ Zeiten ein freundschaftliches Verhältnis der Perser zu den Juden, und hier lebte auch die größte jüdische Gemeinde außerhalb Israels. Selbst im 20. Jht gab es viele Kooperationen zwischen beiden Ländern, bis zur Militärhilfe Israels an den vom Irak angegriffenen Gottesstaat.
Weniger bekannt ist aber, und auch Rabbi Rajad war erstaunt, als ich davon sprach, dass auch Tobias, der jugendliche Held des Buches Tobit, nach Ekbatana zieht, um Ungeheuer und Dämonen zu besiegen und seine Sara zu befreien und zur Frau zu bekommen. Meine jüngste Kirchenoper spielt diese Geschichte und ist eigentlich eine Jugendoper, zu der die Musik von einem jungen Jazzmusiker gemacht wurde. Und tatsächlich finde ich das alte, ehrwürdige Ekbatana als eine Stadt der Jugendlichen vor, voll Optimismus und Reichtum und Geschäftigkeit, und im Verhältnis zu der verwinkelten persischen Seele ist ihre Anlage erstaunlich geradlinig und übersichtlich.

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Reza

Reza, 28, ist ein energischer junger Mann. Er ist Englischlehrer, spricht sehr deutlich und hat klare Vorstellungen. Da er heute unterrichten muss, treffen wir uns um 7 Uhr und fahren nach Abbas Abad, wo es ein einzigartiges Brot gibt, das wir mit Schlagobers und Honig essen, im Türkensitz auf der Pritsche. Danach schlendern wir über den Hügel und turnen an einigen der Gymnastikgeräte in der kühlen Morgenluft. Er erkundigt sich nach Arbeit, Freizeit und Einkommen der Österreicher, ich beschreibe alles möglichst drastisch, und er will wissen, ob 14.000 Euro schon ein Startkapital wäre für ein Leben dort. Er hat noch den Militärdienst vor sich, ohne den man im Iran keinen Pass bekommt, aber danach will er unbedingt nach London fahren.
Zu Mittag bin ich in seinem Haus zum Essen geladen, er lebe single und könne kochen. Aber das Haus ist eine Wohnung im ersten Stock, und wir sitzen zusammen mit seinem jüngeren Bruder, der Atomphysik studiert, im Kinderzimmer und hören die Frauen draußen kichern, ohne sie zu Gesicht zu bekommen. Dann werde ich auf Wohnzimmersofa gebeten, Reza stellt eilig den Fernseher an, es folgen Melonen und Süßigkeiten, und schließlich wird am Wohnzimmerteppich die Plastikdecke ausgebreitet und das Mittagessen serviert. Jede Speise auf einem eigenen Teller, der Reisteller von Reza aufgehäuft. Ungefragt erlaubt er mir, mich auf einen Stuhl zu setzen, obwohl ich gern am Boden sitze. Die Geschwister sehen sich fragend an, da ich noch nicht zulange, bevor alle, auch die Mutter, da sind. Als sie erscheint und Platz nimmt, begrüße ich sie als Rezas Schwester, was sie zum Lachen bringt. Sie habe mit 15 geheiratet. Ich frage die 16jährige Schwester, ob sie auch schon heiraten möchte, was sie empört ablehnt. Sie tuscheln und kichern und kommentieren meine Art, den Teller hochzuhalten und nicht jeden Bissen vom Boden zum Mund zu führen. Dazu muss ich einmal erwähnen, dass man im Iran mit Gabel und Löffel ist, aber ohne Messer. Später sitzen wir am Sofa, die Mutter daneben/dahinter am Boden, und Reza lauscht eine Weile der Predigt des Staatsoberhauptes im Fernsehen, der inmitten von am Boden kauernden Männern spricht, deren andächtige und ergriffene Gesichter und nasse Augen in Großaufnahme zu sehen sind. Dann stellt Reza auf Nachrichten und Sport um, und dieselben Meldungen wie seit Tagen flimmern über den Breitbildschirm, vom Schachturnier, vom Hallenfußball, von tennisspielenden Mädchen in Astronautenanzügen, während ihr kurzärmliger Trainer viel länger im Bild ist, von der Trennung des Provinzvereins von seinem Trainer aus finanziellen Gründen, während dieser schon wieder oder weiterhin von jedem Spieler und dessen Familienangehörigen rührig verabschiedet wird. Schließlich erkundigt sich der naturwissenschaftliche jüngere Bruder nach meinen Ansichten vom Islam und dem Christentum. Den Zölibat können sie nicht begreifen, weil Verzicht für sie kein Wert zu sein scheint. Erst mein Vergleich mit dem Ramasan gibt ihnen zu denken, nachdem ich alle Beteuerungen, wie gesund er sei, mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen widerlege. Die türkischen Wirte in Wien machen das beste Geschäft des Jahres im Fastenmonat (wie die Christen in der adventlichen ehemaligen Fastenzeit), die Männer fressen sich die Bäuche an, der marokkanische Taxifahrer halluzinierte in der Mittagshitze, und mit der Rücksicht auf Ausnahmen sei es so bestellt, dass sogar assyrische Christen in der Türkei oder Armenier in Isfahan – oder Reisende wie ich - zum Mitfasten gezwungen seien, weil alle Restaurants und Lebensmittelgeschäfte geschlossen seien. Es wäre eine Demonstration von geistiger Entschlusskraft und Gottvertrauen, dass man sogar gegen die eigene Natur um Gottes Willen leben und dabei gereinigt und gestärkt werden könne, umsomehr, wenn es als persönlicher, individueller Ruf erfahren würde und nicht bloß als Vorschrift mit öffentlichem Druck. Schließlich meint Reza, der mir immer wieder ins Wort fällt, das Gespräch dadurch entscheiden zu können, dass ja schließlich Mohammed der letzte und größte aller Propheten sei. Aber sein Bruder, der Kernphysiker, begreift schnell die Relativität aller absoluten Aussagen, die vom eigenen Standpunkt abhängig sind. Und schließlich müsste ja dann endlich Bahula als der (bisher) letzte und größte Prophet anerkannt werden, der auf iranischem Boden gewirkt habe, noch dazu, wo er nichts anderes als den Weltfrieden gepredigt hätte – während er und seine Anhänger von gläubigen Muslimen bis auf den heutigen Tag mit Gewalt verfolgt worden wären.
Reza hat sich genauso wie Mahmoud auf meine Couchsurfing-Anfrage nach einer oder zwei Gratisübernachtungen gemeldet und mir sein Sofa angeboten, als meine Barschaft schon sehr knapp wurde. Von diesen Einladungen war aber dann nicht mehr die Rede, Mahmoud erwähnte eine polizeiliche Meldepflicht zum Schutz der in der Stadt lebenden 50 Juden, Reza hatte gar keine Begründung. Stattdessen wollte er sich, zusammen mit seinem Bruder, der Einladung Mahmouds zum Schwimmnachmittag anschließen und deutete an, wie viel ich dafür zu zahlen hätte. Erst die Begegnung mit Mahmoud brachte ihn von diesem Plan ab, und sie verabschiedeten sich einsilbig.

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Mahmoud

Mahmoud, 27 Jahre, hat eine Firma, die mit Lebensmittel handelt. Er muss aber auch in den beiden Firmen seines Vaters mitarbeiten, in der Baustoffbranche. Letzte Woche hat sein Vater ihm eröffnet, er möge sich doch von seiner eigenen Firma trennen. Denn Mahmoud arbeitet 7 Tage in der Woche in großer Hektik. Und seine Manager-Aufgaben könne man keinem Angestellten übertragen, weil es doch um viel Geld ginge und man Fremden nicht trauen könne.
Beim ersten Treffen fahren wir, seine zauberhafte Frau und deren Bruder, nach Abbas Abad, einem Hügel oberhalb der Stadt. Er schwärmt mir von der guten, kühlen Luft dort und dem schönen Ausblick, weil die Stadt so stickig und heiß sei, während wir mit tausend anderen Fahrzeugen im Stau stecken auf dem Weg in die Freiheit. Aber man soll sich nicht den Kahlenberg vorstellen oder das Kreuzbergl und deren beschauliche Anhöhen. Wir kreisen eine halbe Stunde für einen schuhlöffelgroßen Parkplatz, schleppen dann Decken und Körbe mit Essen durch Spaliere von am Boden lagernde Familien, begleitet von einem Riesenjahrmarkt mit fröhlichen Menschen, Verkaufsständen, Bratbuden, Zuckerwatte, Popmusik aus Lautsprechern und herumtollenden Kindern, und finden schließlich ein Plätzchen auf den metergroßen Stufen oberhalb des Paintball-Spielplatzes. Früher hatte Mahmoud dort Rollhokkey gespielt in der Nationalmannschaft, nun hat er den Sport aufgeben müssen wegen Zeitmangel.
Am folgenden Abend sitzen wir auf der Terrasse des großelterlichen Gartens, wieder auf einer am Boden ausgebreiteten Decke, und essen mit von Nadire zubereiteten Aufstrich gefüllten Sandwich in der lauen Abendluft, während alle paar Minuten Mahmouds Handy läutet, seine Großmutter vom Balkon etwas einwirft oder ihm etwas einfällt, das er Nadire noch sagen muss. In dieser Zeit sprechen wir von der heutigen Wirtschaftspolitik des Iran, die deutlich besser wäre als bei der letzten Regierung, (Am nächsten Tag, im Hallenbad, erfahre ich, dass sein Onkel Erziehungsminister in der Regierung ist. Deshalb kommen wir so billig ins Hallenbad der Universität von Hamedan, welche die beste und begehrteste des Landes und wahrscheinlich der ganzen Welt ist. Sein Schwager studiert hier) den Importen aus China und Türkei, dem Zahnarztlabor seiner Frau, dem Ruf von Zahnärzten im Iran, angebotenen billigen Zahnkorrekturen, und wie zur Bestätigung lächelt sie sympathisch übers ganze Gesicht. Danach fahren wir nochmals nach Abbas Abad und gehen eine Runde um die Anhöhe. Ich sehe die Felsenstelle, an der Darius´ steinerne Keilschrifttafel war, bevor sie ins Museum gebracht wurde, und übermütige Männer dort bloßfüßig herumklettern, sehe aber die in den Felsen gebaute Shoppingmall nicht mehr, da sie zur großen Enttäuschung Mahmouds zu dieser Nachmitternachtsstunde bereits gesperrt ist. Diesmal sitzen wir auf einer abschüssigen Steinbank, ich bekomme den Platz zwischen den jungen Eheleuten und rutsche ständig nach der Seite ab. Auf den Knien balancieren wir eine Dose mit Keksen aus Isfahan, die Thermosflasche mit Tee, Porzellanschalen und die Smartphones, und nun gelingt es mir erstmals, Bilder aus meiner Heimat zu präsentieren.

Am nächsten Morgen werde ich von Reza zum Frühstück abgeholt, um 7 Uhr. Es geht zur großen Überraschung: nach Abbas Abad, das erstaunlicherweise sehr ruhig und aufgeräumt ist.

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Land und Leute

Die allermeisten Perser, die ich treffe, sind sehr stolz auf ihr Land und haben das Gefühl, vom Westen nicht richtig verstanden zu werden. Das Bedürfnis, ernst genommen zu werden und nicht bloß als Entwicklungsland zu gelten, stützt sich dann manchmal auf die Religion (wie bei Rana), auf die lange und ehrwürdige Geschichte oder auf die neuere, verbesserte Politik (Adel, Reza, Mahmoud). Dabei ist man durchaus offen für Kritik, z.B. für das geringe ökologische Bewusstsein (Aram), die Dominanz der Religion (Behzam), falsche Wirtschaftspolitik (Mahmoud). Aber es scheint einen Tenor darin zu geben, dass die gegenwärtige Regierung besser ist als die frühere, dass sie richtige Entscheidungen trifft, das Land öffnet und aus der Isolation herausführt. Ich habe niemand getroffen, der gegen die Religion war, aber man will sie ohne öffentliche Gängelung, in Freiheit. Viele wollen mir die Schia erklären und nahebringen, wohl auch aus Rechtfertigungsbedürfnis als die kleinere, unbedeutendere Variante des Islam. Dass ich viele der heiligen Stätten des Iran kenne, wird sehr geschätzt, dass ich nicht Farsi spreche, nicht kritisiert oder erwartet. Aber dass der Anspruch des Islam, die letzte und höchste Offenbarung zu besitzen, von Andersgläubigen nicht unbedingt geteilt werden kann, ist keine selbstverständliche Einsicht. Dabei sind die allermeisten meiner Gesprächspartner junge Akademiker Mitte Zwanzig. Und immer wieder scheint Erkennen und Glauben wie dasselbe: das Wissen um den letzten, verborgenen Imam und dessen erwartete Wiederkunft am Ende der Zeit wird bereits als Glaubensbekenntnis verstanden, Respekt wie die Vorstufe der Unterwerfung (=Islam).
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