Reza

Reza, 28, ist ein energischer junger Mann. Er ist Englischlehrer, spricht sehr deutlich und hat klare Vorstellungen. Da er heute unterrichten muss, treffen wir uns um 7 Uhr und fahren nach Abbas Abad, wo es ein einzigartiges Brot gibt, das wir mit Schlagobers und Honig essen, im Türkensitz auf der Pritsche. Danach schlendern wir über den Hügel und turnen an einigen der Gymnastikgeräte in der kühlen Morgenluft. Er erkundigt sich nach Arbeit, Freizeit und Einkommen der Österreicher, ich beschreibe alles möglichst drastisch, und er will wissen, ob 14.000 Euro schon ein Startkapital wäre für ein Leben dort. Er hat noch den Militärdienst vor sich, ohne den man im Iran keinen Pass bekommt, aber danach will er unbedingt nach London fahren.
Zu Mittag bin ich in seinem Haus zum Essen geladen, er lebe single und könne kochen. Aber das Haus ist eine Wohnung im ersten Stock, und wir sitzen zusammen mit seinem jüngeren Bruder, der Atomphysik studiert, im Kinderzimmer und hören die Frauen draußen kichern, ohne sie zu Gesicht zu bekommen. Dann werde ich auf Wohnzimmersofa gebeten, Reza stellt eilig den Fernseher an, es folgen Melonen und Süßigkeiten, und schließlich wird am Wohnzimmerteppich die Plastikdecke ausgebreitet und das Mittagessen serviert. Jede Speise auf einem eigenen Teller, der Reisteller von Reza aufgehäuft. Ungefragt erlaubt er mir, mich auf einen Stuhl zu setzen, obwohl ich gern am Boden sitze. Die Geschwister sehen sich fragend an, da ich noch nicht zulange, bevor alle, auch die Mutter, da sind. Als sie erscheint und Platz nimmt, begrüße ich sie als Rezas Schwester, was sie zum Lachen bringt. Sie habe mit 15 geheiratet. Ich frage die 16jährige Schwester, ob sie auch schon heiraten möchte, was sie empört ablehnt. Sie tuscheln und kichern und kommentieren meine Art, den Teller hochzuhalten und nicht jeden Bissen vom Boden zum Mund zu führen. Dazu muss ich einmal erwähnen, dass man im Iran mit Gabel und Löffel ist, aber ohne Messer. Später sitzen wir am Sofa, die Mutter daneben/dahinter am Boden, und Reza lauscht eine Weile der Predigt des Staatsoberhauptes im Fernsehen, der inmitten von am Boden kauernden Männern spricht, deren andächtige und ergriffene Gesichter und nasse Augen in Großaufnahme zu sehen sind. Dann stellt Reza auf Nachrichten und Sport um, und dieselben Meldungen wie seit Tagen flimmern über den Breitbildschirm, vom Schachturnier, vom Hallenfußball, von tennisspielenden Mädchen in Astronautenanzügen, während ihr kurzärmliger Trainer viel länger im Bild ist, von der Trennung des Provinzvereins von seinem Trainer aus finanziellen Gründen, während dieser schon wieder oder weiterhin von jedem Spieler und dessen Familienangehörigen rührig verabschiedet wird. Schließlich erkundigt sich der naturwissenschaftliche jüngere Bruder nach meinen Ansichten vom Islam und dem Christentum. Den Zölibat können sie nicht begreifen, weil Verzicht für sie kein Wert zu sein scheint. Erst mein Vergleich mit dem Ramasan gibt ihnen zu denken, nachdem ich alle Beteuerungen, wie gesund er sei, mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen widerlege. Die türkischen Wirte in Wien machen das beste Geschäft des Jahres im Fastenmonat (wie die Christen in der adventlichen ehemaligen Fastenzeit), die Männer fressen sich die Bäuche an, der marokkanische Taxifahrer halluzinierte in der Mittagshitze, und mit der Rücksicht auf Ausnahmen sei es so bestellt, dass sogar assyrische Christen in der Türkei oder Armenier in Isfahan – oder Reisende wie ich - zum Mitfasten gezwungen seien, weil alle Restaurants und Lebensmittelgeschäfte geschlossen seien. Es wäre eine Demonstration von geistiger Entschlusskraft und Gottvertrauen, dass man sogar gegen die eigene Natur um Gottes Willen leben und dabei gereinigt und gestärkt werden könne, umsomehr, wenn es als persönlicher, individueller Ruf erfahren würde und nicht bloß als Vorschrift mit öffentlichem Druck. Schließlich meint Reza, der mir immer wieder ins Wort fällt, das Gespräch dadurch entscheiden zu können, dass ja schließlich Mohammed der letzte und größte aller Propheten sei. Aber sein Bruder, der Kernphysiker, begreift schnell die Relativität aller absoluten Aussagen, die vom eigenen Standpunkt abhängig sind. Und schließlich müsste ja dann endlich Bahula als der (bisher) letzte und größte Prophet anerkannt werden, der auf iranischem Boden gewirkt habe, noch dazu, wo er nichts anderes als den Weltfrieden gepredigt hätte – während er und seine Anhänger von gläubigen Muslimen bis auf den heutigen Tag mit Gewalt verfolgt worden wären.
Reza hat sich genauso wie Mahmoud auf meine Couchsurfing-Anfrage nach einer oder zwei Gratisübernachtungen gemeldet und mir sein Sofa angeboten, als meine Barschaft schon sehr knapp wurde. Von diesen Einladungen war aber dann nicht mehr die Rede, Mahmoud erwähnte eine polizeiliche Meldepflicht zum Schutz der in der Stadt lebenden 50 Juden, Reza hatte gar keine Begründung. Stattdessen wollte er sich, zusammen mit seinem Bruder, der Einladung Mahmouds zum Schwimmnachmittag anschließen und deutete an, wie viel ich dafür zu zahlen hätte. Erst die Begegnung mit Mahmoud brachte ihn von diesem Plan ab, und sie verabschiedeten sich einsilbig.

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