Im Zug nach Shush

Im Zug nach Shush hat jeder Waggon einen eigenen Schaffner - vielleicht sogar mehrere. Der Schaffner oder Ordner unseres Wagens schlief schon seit Beginn der Reise im Stockbett in unserem Abteil. Es ist aber keineswegs so, dass der Zug durchfahren wuerde, im Gegenteil stiegen haeufig Passagiere ein und aus. Dafuer war eine Art Admiral zustaendig, der mit ernstem Gesicht und einem grossen Block alle Fahrgaeste in jedem Abteil notierte. Die Unterschaffner der anderen Waggons sah ich meist im letzten Abteil hinter der Abteilscheibe schlafen. Die drei Angestellten im Speisewagen sassen miteinander an einem Tisch, manchmal schlief einer mit dem Kopf in der Armbeuge am Tisch. Das Kuechenpersonal sah ich mitunter in weissen Schuerzen durch die Gaenge gehen. Das Essen war gut und schnell fertig, Huehnerspiess mit Reis und Yoghurt.
Der Zugpolizist war ein hoeflicher junger Mann, der unter Entschuldigungen in unser Abteil trat, sich an der Tuer niederliess und gewissenhaft unsere Paesse durchsah. Bei Valentin fiel ihm eine Differenz zwischen Einreichdatum und Gueltigkeitszeitraum beim Visum auf, was eine laengere ernsthafte zweisprachige Unterhaltung mit sich brachte.
Bei der Einfahrt in einen Bahnhof liest man zuerst die Aufschriften der Toilette fuer Frauen und Maenner, dann vom Gebetsraum fuer Frauen und Maenner, und zuletzt, wenn man im mittleren Wagen oder weiter vorn sitzt, den Bahnhofsnamen. Diese Beobachtung kam mir spaeter beim Aussteigen zu Hilfe.
Die Strecke war im Wesentlichen eingleisig und verlief schnurgerade durch Wuesten und Savannen, manchmal zwischen Huegeln. Eine Bahnhofseinfahrt konnte man allein schon durch das Ueberfahren der Einfahrtsweichen erspueren. Hier begegneten zuweilen Gueterzuege aus Kesselwagen. Ansonsten bestand das sichtbare Ladegut hauptsaechlich aus Schienenschwellen und kurzen Gleisprofilen, aber ich sah auch Radsaetze und ganze Drehgestelle. (Die Bahn transportiert sich selbst)

Als Ankunftszeit war uns fuenf Uhr frueh angegeben worden - im Zug selber sagten die meisten, um drei Uhr. Unsere beiden Abteilkollegen fuhren bis Andimesk, der Station davor, und versuchten uns zu ueberreden, es ihnen gleich zu tun. Wir stellten den Wecker mit ihnen und warteten dann die richtige Station ab. Am salutierenden Bahnhofspolizisten vorbei trugen wir unsere Rucksaecke zum Empfangsgebaeude und suchten vergebens die Strasse dahinter, gelangten schliesslich durch den Schatten der gelben Bahnhofsbeleuchtung auf einen Feldweg und diesen entlang bald zur auch jetzt befahrenen Landstrasse. Ein paar Haeuser unter Laternen entpuppten sich, als wir dort waren, als Industriegebaeude, und wir steuerten die Stadt in der Gegenrichtung an. Uber eine Bruecke im Finstern schritten wir auf Shush zu, von dessen Namen allerdings nirgends etwas zu lesen war. Schliesslich erreichte uns einer der auf ihren Motorraedern umherstreifenden Jugendlichen, er bestaetigte unsere Gehrichtung und nahm Valentin mit, wenig spaeter kamen andere, und ich bekam einen Sitzplatz in der dritten Reihe, mit umgeschnalltem Rucksack. Nachdem sie zehnmal nachgefragt hatten, brachten sie uns zum anderen der beiden im Ort existierenden Hotels, einem in der Nacht huebschen Haeuschen am Fluss, und schliesslich doch zum von uns erwaehlten. Lange suchte ich das Tor, und dann fand ich einen schlafenden Mann davor. Er konnte uns aber nicht anders helfen, als dass wir eine Weile klopfen und trommeln mussten, denn auf die Glocke, obwohl von unten zu hoeren, reagierte niemald. Schliesslich erschien ein freundlicher junger Mann, von dem ich am naechsten Tag erfuhr, dass er ein technisches Fach studierte, sah, dass er Bertrand Russel las und hoerte, dass er Sartre mochte. Er fuehrte uns durch ein neues Haus ueber lange Fluren in ein backofenheisses langgestrecktes Zimmer, in dem vier grosse Betten standen. Die angeworfene Klimaanlage hatte die Kraft von Flugzeugmotoren, und ich tauschte mein Bett im Luftstrom mit einem Teppichplatz im Zimmerwinkel, wo ich ungestoert bis in den Nachmittag schlief/
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ferner

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