Ein Salzbad und ein Flussbad und ein Hallenbad

Aram hatte die Idee, ein Auto zumieten für einen Tag – das wäre billiger als ein Taxi, und man könnte alle interessanten Dinge sehen in Urmiya und in der Umgebung.
Aram ist Kurde, bezeichnet Urmiya als kurdische Stadt und spricht mit jedem dritten Satz von den Kurden und der Ungerechtigkeit, sich nicht selbst regieren zu dürfen. Er ist Rechtsanwalt, aber für internationales Handelsrecht. Statt für kurdische Belange als Rechtsanwalt zu kämpfen, was ihm zu gefährlich vorkommt, spekuliert er mit einem Studienaufenthalt in den USA oder mit der Ausreise nach Kanada.
Wir fahren zum Urmiya-See, und Aram ist sehr erstaunt, dass kaum mehr Wasser da ist. Anstatt über eine Brücke fahren wir über einen kilometerlangen breiten Damm. Er mag kein Salzwasser, sagt Aram in abgehackten englischen Sätzen. Als wir dann doch noch eine Brücke und eine zugängliche Wasserfläche finden, steuert er genau dorthin, wo die meisten Leute sind, eine Art Viehtränke für Familien. Einige Kinder und Frauen waten im Wasser, gänzlich bekleidet. Junge Männer tollen umher mit viel Geschrei. Ich steige etwas abseits ins Wasser, um die Leute nicht mit meiner Badehose zu irritieren, und lege das T-Shirt erst auf einer Salzbank ab. Man liegt auf dem Wasser wie eine Luftmatratze, ebenso wie im Toten Meer – schwimmen kann man das nicht nennen. Auf dem Rücken liegend, rudere ich mit den Beinen zwischen den Salzbänken hindurch. Das Wasser hat Badewannentemperatur und die Konsistenz von Spagettiwasser. Als ich zurückkomme, sind meine Sandalen weg – stattdessen liegen zerfetzte Plastiksandalen dort. Zur Entschädigung bekommen wir von einer kurdischen Familie Tee serviert auf einem Kofferraumdeckel, und sehen den Autos zu, die über die Schotterrampe bis ganz zum Salzstrand hinunterfahren, alle vollbesetzt mit iranischen und kurdischen Familien, bis die Reifen im Salzschlamm versinken. Alle Stunden kommt dann ein Traktor und zieht die Autos wieder heraus. Der junge Mann erzählt von Flamingos und Pelikanen, die noch vor wenigen Jahren hier genistet hätten, und von Maßnahmen der Regierung. Das Wasser steige wieder an. Aber der Damm, der die Zirkulation verhindert wird verbreitert zugunsten weiterer Fahrstreifen.

Später fahren wir zu einem klaren Flüsschen, das sich durch ein weidenbewachsenes Tal windet. An einer tieferen Stelle breitet Aram seinen Teppich aus, damit wir uns darauf lagern, inmitten von Plastikmüll und Melonenschalen. Ich bin schnell im kalten Wasser, allein schon deswegen, um das restliche Salz abzuwaschen, und finde Textilien, sogar zerfranste Teppichstücke zwischen den spitzen Flusssteinen. Die Männer tollen brüllend herum, die Chipssackerl hüpfen vor dem Wind her über den Boden und fangen sich schließlich an ins Wasser ragenden Ästen. Die Iraner und Kurden steigen mit ihren Plastiksandalen darüber und setzen sich zu ihrer Grillstelle am Gaskocher oder am offenen Feuer, an dessen Rauch wir alle teilhaben. Aram steigt ein wenig im Wasser herum, hinein geht er auch hier nicht.

Am nächsten Tag sind wir dann doch noch regulär schwimmen. In einem kleinen Hallenbad in Urmiya, weil im großen, das mir Aram stolz zeigen wollte, heute leider Frauentag ist. Nach den schon bekannten Modalitäten: Magnetstick umschnallen/ Schlapfen aus/ Plastikschlapfen an/ Kästchen finden, aufsperren/ umziehen/ mit Plastikschlapfen in die Schwimmhalle durch die Glasschiebetür/ Plastikschlapfen in den Korb/ ins Wasser ist es soweit: Kopfsprung/ knappe Länge durchtauchen/ 10 min Vollgas/ 3-4 Stöße pro Länge.....
Als ich nachher im Kaltwasserbecken ausschnaufe und die Leute besehe, sind zuerst nur 3 oder 4 Männer da. Aber auch als später noch einige kommen, Großväter mit Enkeljungs: da kann kaum einer wirklich schwimmen/ Kraftlackel viele, aber die plantschten nur im Seichten/ Hundepaddeln/ halbe Länge die Jugendlichen
später mit zwei Kurden aus Istanbul in der Sauna/ Lehrerstudent/ Psychologiestudent/ türkische Kurden oder kurdische Türken/ nasilsimiz/ teshekür ederim/ sind wegen einer Hochzeit da/ Brautbruder/ Coussin
ich komme aus China, Singapur/ Aram aus Kenia, Afrika/ Kurden gibt es doch überall!/
kurdische oder iranische Pizza: ein Kuchen mit daraufgestopften Sachen, angeheizt/ die China/Keniageschichte macht uns in der ganzen Straße bekannt/ schon beim Einparken blicken sie durch die Scheibe herein und grinsen uns an/ der Wirt zeigt mit den Fingern an seinen Augen, wie er sich Chinesen vorstellt/ ich zeige ihm meine roten Chloraugen/ im Taxi beeilt sich Aram, als erster auf Kurdisch zu Wort zu kommen

bei der Abreise am Busterminal standen einige Burschen vor den Bussen herum und witzelten/ der mit dem besten Englisch sprach mich an/ ich der Chinese/ er, der Kamelcowboy/ sein Freund wurde zum Elefantenreiter/ Reitergesten in der Luft/ Schulterklopfen/ Gelächter/ alle auf der Plattform um uns geschart/ Telefonnummern ausgetauscht/ herzliche Verabschiedung wie unter alten Freunden nach 15 Minuten/ in Hamadan würden sie mich durch die Stadt führen/ in meiner Schulzeit in Floridsdorf konnte es auch so sein/ generationsübergreifende übermütige Brüderlichkeit/ Kurden unter Kurden


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