Hijdari gehört eher zu den ungeduldigen Menschen. Als er mich auflas auf einem der Kreisverkehre in Saneh, wohin mich bereits eine eigene Variante der Reisegeschichte gebracht hat, da verstand er sofort mein Reiseziel: Kangavar mit dem berühmten Anahitatempel. Mit seinem Peugeot dorthin unterwegs, hochtourig wie die meisten Perser, und mit aufgeblendetem Fernlicht am glühenden Nachmittag, zeigte er mir die Hochzeitsfotos seiner Tochter am Smartphone, führte unzählige Telefonate und befragte mich über Straßenqualität, Einkommen und Klima meines Heimatlandes. Jede Frage wurde eingeleitet durch ein Klopfen mit dem Handrücken gegen mein Knie, und nach erfolgter Antwort meist fünfmal wiederholt. Ich wollte zwischen Kermanshah und Hamadan noch zwei Besichtigungen einschieben, nämlich des archemenidischen Felsenreliefs mit der Darius-Inschrift in Bisotun, wohin ich ganz regulär mit einem Kleinbus kam, sowie des besagten Anahitatempels, wofür ich aber keinen Bus mehr finden konnte. So versuchte ich mich also wieder einmal im Autostoppen und hatte gar keinen schlechten Erfolg. Nach mancher Stunde in der schattenlosen Gluthitze neben der schnell befahrenen Landstraße wurde ich an einer Abzweigung aufgelesen und unter persischen Beteuerungen nach Saneh gebracht, genau auf der falschen Abzweigung. Von dort sollte ich leichter wegkommen, was auch stimmte, denn hier fand ich meinen Hijdari bzw. er mich.
Den Anahita-Tempel hätte ich ohne die fachkundige, aber beinahe sprachlose Führung kaum so gut verstanden. Zusammengehörende Säulenteile, Proportionen des Turms mit drei Stufen, eines Zikurats also wie Chogha Zanbil, aber nicht wie dieses aus Ziegeln, sondern aus fein zugeschnittenen Felssteinen, und mit dem nicht erhaltenen Heiligtum der Fruchtbarkeitsgöttin an der Spitze, erklärt und gezeigt vom Verfasser des Grabungsbuches, von diesem mitgeführt wegen der Abbildungen, von Hijdari verwendet als Sonnenschutz.
Ich hätte mich nun am mittleren Nachmittag verabschiedet und den Weg gesucht nach Hamadan, immerhin noch etwa 70 km. Aber Hijdari offenbarte mir nun seinen Plan, mich in sein Haus zum Essen einzuladen, zum Übernachten, und morgen dann nach Hamadan zu fahren. Wer könnte da ablehnen! So ging es also nochmals zurück nach Saneh, und ich lernte seine Frau kennen, und später seine Tochter, die wegen ihrer Englischkenntnisse herbeigerufen wurde. Die 28 Jährige, die mir offen die Hand gedrückt hatte, erklärte zwar, Jus zu studieren in englischer Unterrichtssprache, konnte aber kaum einen Satz sagen und übersetze auch nur weniges von dem, was ihre Eltern am gegenüberliegenden Sofa sagten. Hijdari war LKW-Fahrer gewesen und hatte nun ein Bandscheibenleiden. Die Mullahs und die kopftuchverhangenen Frauen verspottete er mehrmals, aber auch in seinem Haus trugen die Frauen Kopftuch. Unverhohlen erkundigte er sich nach dem Reichtum der Österreicher und danach, ob ich verheiratet wäre, um mir dann augenblicklich seine anwesende Tochter zur Frau anzubieten, und dann, und dazu machte er eine flotte Handbewegung, ab nach Europa. Sie selbst lächelte säuerlich, und ich erwähnte den gerade beschlossenen Einwanderungsstopp in Österreich. Währenddessen zappte Hijdari durch alle 900 Satellitenprogramme, bis er englischsprachige fand: zuerst einen amerikanischen Bibelsender, dann eine Messe, und schließlich eine Talkshow, während ich lieber die Fußballübertragung gesehen hätte. Zum servierten Tee erklärte mir Hijdari fünfmal hintereinander, wie man den Zuckerwürfel verwenden würde, obwohl ich keinen Zucker nehme. Schon zweimal bekam ich einen Teller mit süßen kleinen iranischen Weintrauben hingestellt, während mir schon der Magen knurrte angesichts des versprochenen Essens. Dieses gab es aber erst, nachdem sich die Tochter verabschiedet hatte, und es wurde auf persische Art am Küchenboden serviert. Die beiden beobachteten genau, ob ich beim Türkensitz die Knie am Boden hätte, und beanstandeten, dass ich nicht den Reis in den Fleischteller geben, sondern umgekehrt die Fleischsoße auf den Reisteller mischen solle, denn im Unterschied zu mir betrachten sie den Reis (den Hijdari mir eigenhändig auf den Teller schaufelte, nachdem ich nur wenig genommen hatte) als das Hauptnahrungsmittel und das andere als Beifügung; aber ich blieb bei meinem Entschluss und aß mit großem Genuss fertig. Nach dem Essen wollte Hijdari Hilfe gegen seine Rückenschmerzen, aber meine Dehnungsübungen, die ich am Wohnzimmerteppich vorzeigte, konnte er wegen seines Bauches nicht mitmachen. Kurzum, mit internationaler Kommunikation verbrachten wir den Abend, und ich wurde ins ehemalige Kinderzimmer entlassen.
Um 6 Uhr Morgen stand Hijdari in der Tür, mit dem Autoschlüssel in der Hand, und warf mir die Wäsche herein, die an der Leine im Hof getrocknet war. Dann fuhr er nicht etwa den ohnehin langen direkten Weg, sondern wollte mir unbedingt noch den berühmten Wasserfall zeigen, den ich am Vortag verweigert hatte und der sich als ein Rinnsal im Morgengrauen darstellte. Mit einem Klopfen aufs Knie und gewichtiger Geste demonstrierte er stets das seiner Meinung nach beste Fotomotiv und war sonst heute eher einsilbig. Als er mich dann in Hamedan an einer beliebigen Kreuzung absetzen wollte, weil er sich in der Stadt nicht auskannte, nannte er dann den Preis für seine Gastfreundschaft, der in die Millionen ging und mit einer Hotelübernachtung und einer Überlandtaxifahrt durchaus mithalten konnte. Es gab noch einige emotionale Verhandlungen unter lautstarker Einbeziehung des Personals von drei Hotels, welche dann alle kein Zimmer mehr freihaben wollten für mich, bis er schließlich mit einer Summe abzog und mich noch freundschaftlich umarmte. Reguläre Hotels haben auch ihre guten Seiten, dachte ich dankbar und blickte aus dem Fenster des Ordibehesht-Hotels.
weichensteller - 9. Aug, 15:38