Freitag, 28. August 2009

Isfahan: hermeneutische Theorie

Wenn wir Christen eine Buchreligion haben, und dies fuer Juden und Moslems in noch groesserem Masse zutrifft: Waere es dann nicht angezeigt, das Lesen als Form religioeser Existenz noch viel ernster zu nehmen?
Unseren muslimischen Geschwistern meinen wir, einer groesseren Freiheit bei der Textauslegung zusprechen zu muessen, und verstehen darunter hauptsaechlich, konkrete Handlungsanweisungen als zeitbezogen zu demaskieren und wegzufiltern; die feministische Bibelauslegung arbeitet etwa auf diese Weise (Vater/Mutter/Es im Himmel, geheiligt werde dein Name....).
Um hingegen die Anforderungen an eine existenzielle Hermeneutik zu skizzieren, soll zunaechst einmal vom geschriebenen Wort abgesehen werden. Wir unterscheiden, was jemand sagt, und was er meint. Wir messen der betreffenden Person grosse Bedeutung zu, und unsere Beziehung hilft uns das Gesagte und Gemeinte zu deuten. Aber es gibt auch Redestrategien, die durchschaut werden koennen, auch ohne die Person zu kennen.
Mit solchen oder anderen Vorueberlegungen soll jetzt der Iran lesbar werden/

Isfahan im Ramasan

Im Ramasan bekommt man tagsueber nichts zu essen - ausser in einigen Touristenrestaurants. Im armenischen Imbissgeschaeft traten sich deshalb 15 Personen im 2x3m grossen Raum gegenseitig auf die Fuesse, und alle assen ihre Sandwiches stehend, hinter Milchglasscheiben. Der iranische Textilhaendler Reza hat mich hingefuehrt, er erklaert, die Armenier haben zwar keinen Ramadan, aber sie essen in dieser Zeit nicht oeffentlich/

Wenn du durch einen dieser Paradiesgaerten gehst, verfolgen dich interessierte, neugierige Blicke, und wer sich traut, spricht dich an/

Als ich einmal etwas zoegerlich die Strasse querte, sprach mich eine Frau ernsthaft an, ob sie mir helfen koenne/

Ein paar Schritte neben meinem Hotel habe ich auch einen Sandwich-Imbiss entdeckt. Du erkennst ihn an den flatternden Decken vor der Auslage und der Glastuer, und am Geruch von heissem Fett/

Auf den verfliesten Wegen im Hasht Behesht Palast-Garten, neben plaetscherndem Wasserbecken und lachenden Kindern, deren Vaeter auf den eisernen Kindergeraeten schaukeln und turnen, knattert jede Minute ein Motorrad vorueber - gerade eines mit einer vierkoepfigen Familie/

Die Iraner sind so hoeflich, dass dich wildfremde Menschen mit Verbeugung gruessen und sich mit der Hand aufs Herz schlagen. Wenn du dich an der Theke anstellst und bis zur ersten Reihe vordringst, reicht stets jemand ueber deine Schulter hinweg seine Kassaquittung oder ruft seine Bestellung mit Donnerstimme aus der dritten Reihe/

Gestern Nachmittag passierte ich mit einem Erdbeershake in der Hand die Uferpromenade an der Allah Vedi Khan-Bruecke, wo heute ein grosses Transparent angebracht war, das Frauen an das Tragen von Kopftuechern erinnerte, waehrend ueber Lautsprecher gerade Fastenparolen proklamiert wurden. Als ich nach einiger Zeit von einem Burschen am Hemd gezupft wurde, der mich an den Ramadan erinnern wollte, ging ich ein paar Schritte weiter und schluerfte meinen Shake dort fertig/

Zum ersten Mal faellt mir heute ein Motorradfahrer mit Sturzhelm auf. Vor ihm und hinter ihm sitzen je ein kleiner Junge - ohne Helm/

Tobi hat sich eine Wasserpfeife gekauft, und ich habe vor dem Geschaeft gewartet. Er kam plaudernd mit dem Geschaeftsfuehrer heraus, der sich nach unserem Heimweg erkundigte. Er bot sich an, ein Taxi zu einem guenstigen Preis zu rufen, und trat an den Strassenrand. Er begann mit einem Streifenpolizisten ein Gespraech, und einige andere Passanten traten hinzu. Inzwischen passierten einige Taxis, und um die Busse zu benutzten, konnte uns niemand eine Kartenverkaufsstelle zeigen. Als ich mich umdrehte und heimging, war es niemandem aufgefallen/

Gerade an unserem ersten Tag in Isfahan fand ein Treffen der Couchsurfing-Mitglieder dieser Stadt statt. Wir gingen als auslaendische Mitglieder hin und trafen auf einen Schlag viele interessante junge Menschen. Neben mir sass ein sehr gepflegter, wohlsituierter Herr, der sich als Beamter der staatlichen Versicherungsgesellschaft vorstellte. Er erkundigte sich sehr interessiert nach meinem Beruf, fragte nach dem Religionsunterricht und nach meinen Erkenntnissen auf meiner Iranreise. Ich begann, von der Verwandschaft unserer beiden Religionen zu sprechen, aber auch von den Unterschieden in der Textauslegung, und fuegte noch einiges ueber das Entschluesseln der menschlichen Existenz hinzu und ueber die Auslegungsarten von Kinofilmen. Nachdem wir einige Male unterbrochen worden waren, mein Nachbar mich aber weiterhin aufmerksam ansah, wollte ich seine Meinung hoeren, worauf er entgegnete, er habe nichts verstanden/

Als wir Die Pol-e Khndju-Bruecke ueber den trockenen Fluss mit unseren geliehenen Fahrraedern ueberquert hatten und zwischen den Pfeilern hindurchschlenderten, sah ich im Schatten einen jungen Mann ernst auf eine Reihe sitzender Maedchen einsprechen. Ich wurde von einem Herrn angesprochen und stellte mich als Oesterreicher vor, als jedoch gleich darauf die schwatzende und kichernde Gruppe hinzutrat, bezeichnete ich Tobi sehr ernsthaft als Russen. Die staunende Frage nach unseren Fahrraedern beantwortete ich zustimmend, dass wir aus Russland mit dem Rad gekommen seien, und die Fragen nach den weiteren Zielen mit Shiraz und Hormos. Auf die Frage, was mir im Iran am besten gefalle, antwortete ich, die schwarzen Augen der Frauen, was bei den Damen grosses Entzuecken ausloeste und viele verschwoererische Blicke. Ich lobte den guten Unterricht des jungen Mannes, dessen Zuhoererinnen wohl seine Schwestern und Cousinen waren, und als ich den hinzugekommenen Valentin als Enkel von Putin vorstellte, bat die gutgelaunte Gesellschaft um ein gemeinsames Foto, wobei die attraktiven Damen sehr konzentriert waren/

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